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Wie wir das Verhältnis zu unserer Ernährung transformieren können

By January 14, 2025 No Comments
Helen Ergec

Helen Ergeç ist Ernährungspsychologin und Expertin für Frauengesundheit. Sie verbindet ihr Wissen aus der Traditionellen chinesischen Medizin (TCM), Traumaarbeit, Yoga, Breathwork und Psychotherapie, um Frauen ganzheitlich zu unterstützen. Ihre Schwerpunkte liegen auf dysfunktionalem Essverhalten, Essstörungen und Zyklusstörungen, insbesondere der hypothalamischen Amenorrhö. Mit ihrer körperorientierten Arbeit hilft sie Frauen, ein gesundes Verhältnis zu Essen und ihrem Körper aufzubauen.

Helen, Stell dich gerne einmal vor.

Ich arbeite unter anderem als Psychologin, Yogalehrerin und Autorin. Eine ganzheitliche Sicht von Körper und Psyche ist mein Ideal. Ich arbeite vor allem mit Frauen, insbesondere dem großen Thema dysfunktionale Beziehungen zum eigenen Körper und zum Essen, dem weiblichen Zyklus, Fruchtbarkeit und Schwangerschaft. Mithilfe von Yoga, Achtsamkeit und meinem Wissen aus der Psychologie unterstütze ich andere auf ihrem persönlichen Weg. Ich interessiere mich sehr für die potenziell heilende Wirkung von Nahrung (v.a. im Sinne von „nähren“) sowie Achtsamkeit beim Essen. Achtsames Essen bedeutet für mich auch einen bewussten Umgang mit Nahrungsmitteln und vor allem die Verbindung zur Natur wiederzufinden – der Natur um uns und in uns.

Ich habe einen Master in Psychologie mit dem Schwerpunkt klinische Psychologie, Psychotherapie und Beratungspsychologie. Außerdem bin ich in Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin. Ich habe verschiedene Fortbildungen zu Trauma  (Gabor Maté) und Hypnose (Charité Berlin) absolviert, welche in meiner Arbeit einfließen, so wie eine Ausbildung in Traumasensitivem Yoga (María Macaya). Ich habe außerdem verschiedene Fortbildungen in Traditioneller Chinesischer Medizin und Ayurveda gemacht, um meine Arbeit durch dieses Wissen zusätzlich ergänzen zu können.

Ich habe schon während meines Studiums Anfang 2015 zunächst eine traditionelle Hatha und Ashtanga Yogalehrerausbildung in Indien gemacht. In Berlin habe ich dann Jivamukti Yoga kennen und lieben gelernt und 2017 ein Teacher Training bei Sharon Gannon, Yogeswari, Jules Febre und Moritz Ulrich absolviert. Ich habe ein 800hrs Apprenticeship bei Martyna Eder angeschlossen und bei Jivamukti Berlin Yoga unterrichtet.

Ich lasse mich immer wieder gerne von allen möglichen Yogarichtungen inspirieren (Kundalini, Katonah etc.). Für mich ist Yoga ein ewiges Lernen. Und das Leben ist unser bester Lehrmeister – es bietet immer die richtigen Lehrer zur richtigen Zeit. Wenn wir bereit sind, erscheinen sie – in welcher Form auch immer.

Derzeit mache ich außerdem eine atemtherapeutische Ausbildung, die meine Arbeit und auch meine persönliche Entwicklung sehr bereichert. Die Ausbildung richtet sich nur an Frauen und findet in einem sehr intimen, weiblichen und sanften Setting statt, das ich als sehr nährend und wunderschön empfinde.

Was hat unser Essverhalten mit dem Nervensystem zu tun?

Der ventrale Vagus, auch als soziales Nervensystem bezeichnet, ist phylogenetisch der neueste Teil des Nervensystems. Er reguliert alle Nerven im Bereich des Gesichts, also alle Teile, die hauptsächlich in der Kommunikation, aber auch beim Essen aktiv sind. Dieser ventrale Vagus „springt“ nur an, wenn wir uns sicher fühlen. Der ventrale Vagus ermöglicht auch unsere Fähigkeit zur Selbstreflexion. Sobald ein gewisses Maß an Stress überschritten ist und der soziale Vagus abschaltet, sinkt unsere Fähigkeit, ein Beobachter-Ich zu halten und selbstreflexiv auf uns und unsere Gefühle und Reaktionen zu schauen. Wir können dann auch nicht mehr gut fühlen, was unsere Bedürfnisse sind, wann wir Hunger haben, wann wir satt sind, was uns nährt und guttut. Das kann einerseits zu vermindertem Hungergefühl führen. Aber auch zu Essanfällen und Binge Eating, da wir versuchen, eine gefühlte Leere mit Essen zu füllen, aber unsere eigenen Grenzen nicht mehr gut spüren können und Emotionen und körperliche Bedürfnisse nicht gut differenzieren können.

Essstörungen können als eine Form von Körpertrauma verstanden werden – das Gefühl von Sicherheit im eigenen Körper ist gestört und wir können unsere eigenen Bedürfnisse nicht mehr richtig spüren und bewerten.

Es gibt natürlich noch viele weitere Zusammenhänge zwischen Essen und der Psyche. Die Darm-Hirn-Achse ist dabei ein wichtiger Punkt: Es bestehen wahnsinnig viele Nervenverbindungen zwischen Darm und Gehirn und unser Befinden beeinflusst so auf physiologischer Ebene unsere Verdauung.

Und auch unser Bindungsverhalten, also ob wir durch unsere Eltern und wichtigen Bezugspersonen sicher gebunden waren, beeinflusst, ob wir uns sicher in uns selbst fühlen. Was wiederum unser Nervensystem prägt und so beeinflusst, wie gut wir für uns selbst sorgen können.

Ich habe mit einer mir nahestehenden Person über das Thema gesprochen. Und die Frage war ganz einfach: Wie kann ich das lassen? Wie kann ich in Momenten von innerem Stress mich nicht überessen o.ä. Kennst du diese Art der Fragen?

Eine sehr wichtige und gute Frage. Erst einmal ist es wichtig, für eine entspannte Atmosphäre zu sorgen, wenn wir essen. Eine Umgebung zu schaffen, die es uns erlaubt, uns sicher zu fühlen.

Ich würde generell davon abraten, unter Stress zu essen. Wobei es andererseits immer besser ist, sich mit Energie zu versorgen, als nicht zu essen. Denn unter Stress braucht der Körper natürlich auch Energie und Nahrung kann sich dann auch beruhigend auf das Nervensystem auswirken (z. B. ein Stück dunkle Schokolade nach Stress oder intensiven Situationen – ähnlich wie bei Harry Potter und den Dementoren).

Vor dem Essen kann es auch schön sein, eine kleine Übung für das Nervensystem zu machen. Das kann ganz einfach sein: Einmal lange und voll ausatmen, seufzen oder gähnen bringt da schnelle Erleichterung.

Regelmäßige Mahlzeiten helfen auch sehr, denn wenn wir uns gut nähren, sind wir ausgeglichener und können Hungersignale klarer erkennen.

Ansonsten ist es hilfreich anzuerkennen, dass der Weg zurück zum intuitiven Essen für viele von uns ein Prozess ist und sein darf. Wenn wir Kontakt zu unserem Körpergefühl verloren haben, dürfen wir wieder lernen, zu spüren, wann wir Hunger haben und auch wann wir satt sind. Dann ist schon ein guter erster Schritt zu erkennen: Ich habe mich überessen. Und sich dann zu fragen: Stimmt das auch objektiv? Und wenn ja, woran lag das? Habe ich den Rest des Tages ausreichend gegessen? Wie ging es mir emotional?

Und sanft mit sich bleiben: Nur dann kann das Nervensystem zur Ruhe kommen und wir können unsere körperlichen Signale spüren und verstehen.

Wie kann ich ein „gesundes“ Verhältnis zu Essen aufbauen? Was bedeutet eigentlich „gesund?“

Im Grunde würde ich die Frage ähnlich beantworten wie dir vorige. Manchmal kann es helfen, sich Unterstützung zu suchen. In meiner Arbeit mit Frauen schaue ich erst einmal auf den Status Quo: Wie ernährt sich die Frau aktuell? Nimmt sie genug Energie zu sich? Denn tatsächlich essen viele Frauen zu wenig. Dann schauen wir darauf, wann Mahlzeiten eingenommen werden. Denn Frühstück ist für Frauen z. B. eine sehr wichtige Mahlzeit, die aber gerne vernachlässigt wird.

Das bedeutet, am Anfang ist es häufig erst einmal wenig intuitiv, sondern es wird erst eine Struktur aufgebaut, die dabei unterstützt, sich wieder gut zu nähren.

Letztlich ist das Ziel, wieder zurück zum eigenen gesunden Körpergefühl zu finden und dem Vertrauen, dass der Körper zeigt, was er braucht und wann er es braucht.

Das kann und darf aber ein Prozess sein.

Was „gesund“ ist, stellt sich dann mit der Zeit heraus – wenn der Körper gesund ist, der emotionale Zustand stabil, das Essverhalten regelmäßig ist und bei den Mahlzeiten Entspannung möglich ist, ist das Essen „gesund“.

Was hat dir persönlich auf deinem Weg geholfen? Wie nährst du dich? Und mit welchen Hürden wirst du immer wieder konfrontiert?

Mir hat es sehr geholfen, Ernährung holistisch zu betrachten. Zu sehen, dass Essen so viel mehr als Lebensmittel und Nährwerte ist, sondern sehr von unserem psychischen und emotionalen Befinden beeinflusst ist. Und umgekehrt – nur wenn ich entspannt esse, kann ich Nahrung auch adäquat aufnehmen und verwerten.

Ich versuche auf meinen Körper zu hören und esse gleichzeitig regelmäßig. Das heißt, ich habe eine Struktur, von der ich abweiche, wenn mein Körper danach verlangt.

Hürden sind sicherlich auch für mich, immer bei mir zu bleiben und unbeeinflusst davon zu sein, was andere tun. Ich bin da schon ganz gut drin, aber trotzdem triggert es mich teilweise, wenn ich sehe und höre, was in den sozialen Medien beispielsweise zu Ernährung geteilt wird. Heute weiß ich, was mir guttut und es ärgert mich eher, wenn ich etwas sehe, weil ich weiß, wie viele Frauen sich von „toxischen“ Ernährungstheorien und Körperbildern verunsichern lassen. Es ist eine Herausforderung, da bei sich zu bleiben.

Aber das ist gleichzeitig auch großer Teil der Motivation für meine Arbeit – ich möchte gerne dazu beitragen, dass Frauen sich in ihren Körpern (wieder) sicher fühlen können.

Helen Ergeçs neues Buch, das seit Dezember erhältlich ist, vereint über 70 nährende Rezepte mit einem umfangreichen Theorieteil zu Frauengesundheit, Ernährung und dem Nervensystem. Es beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Stoffwechsel, Psyche und Verdauung aus einer ganzheitlichen Perspektive – inspiriert von der TCM. Jedes Rezept enthält detaillierte Informationen über seine Wirkung und Vorteile. Das Buch lädt Frauen ein, nicht nur die Nährwerte von Lebensmitteln zu verstehen, sondern auch zu erkennen, was Körper und Geist brauchen, um entspannt zu essen, gut zu verdauen und in Balance zu bleiben.

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