Aktuell

Frauenkreis, Ja. „Divine Femininity“, Nein Danke. – Über weibliche und männliche Energie

By September 2, 2024 No Comments
Frauenkreis, Ja. „Divine Femininity“, Nein Danke. – Über weibliche und männliche Energie

Seitdem ich Frauenkreise veranstalte, setze ich mich intensiv mit den Botschaften auseinander, die in diesen Räumen vermittelt werden. Eine der zentralen Botschaften ist: Die weibliche Energie sei intuitiv, weich und empfangend, während männliche Energie fokussiert und kompetitiv sei. Doch was steckt eigentlich hinter diesen Konzepten von weiblicher und auch männlicher Energie?

Über weibliche und männliche Energie

Seit meiner ersten Ausbildung zur Yogalehrerin begegnete mir die Vorstellung, dass weibliche Energie weich und hingebend sei, während männliche Energie fokussiert und kompetitiv sei. Dieses Denken scheint tief verwurzelt zu sein, doch woher kommt es eigentlich?

Yin und Yang als Beispiel für die energetischen Archetypen

Das Yin-Yang-Symbol ist ein zentrales Konzept der traditionellen chinesischen Philosophie und Medizin. Es drückt die Dualität aller Dinge im Universum aus. Oft wird Yin als die weibliche Energie interpretiert – das Intuitive, Kreative und Mitfühlende – und Yang als die männliche Energie – das Harte, Logische und Schützende. Ted J. Kaptchuk schreibt auch, Yin bedeute wörtlich „die schattige Seite des Berges“ und Yang „die sonnige Seite des Berges“. Wichtig: Beide Seiten bedingen einander.

Indien: Ida und Pingala

Im Yoga stehen die Energiekanäle Ida und Pingala für Mond- und Sonnenenergie. Ida wird oft mit weiblicher, kühlender Energie assoziiert, während Pingala die heiße, männliche Energie repräsentiert.

Braucht Energie ein Geschlecht?

Immer wieder wird betont, dass männliche und weibliche Energien nicht an ein biologisches Geschlecht gebunden seien. Vielmehr kämen diese in jedem Menschen vor. Es handle sich um energetische Archetypen. Trotzdem entsprechen die beschriebenen Eigenschaften – weich und intuitiv versus kontrollierend und kompetitiv – auffällig traditionellen Geschlechterrollen. Ist es also wirklich Zufall, dass diese energetischen Archetypen den binären Rollenbildern entsprechen, die wir aus patriarchalen Gesellschaften kennen?

Zurück zum Yin-und-Yang-Beispiel – Asymmetrien in der Geschichte

Karl-Heinz Pohl, ein deutscher Sinologe, beschreibt, dass in einer patriarchalischen Gesellschaft wie der vormodernen chinesischen die Definition von weiblichen und männlichen Qualitäten wenig überraschend sei. Unter diesem Aspekt interpretiere ich auch die Antwort von Dr. Robert Eno, einem emeritierten Sinologen auf meine Anfrage:

„Yin und Yang sind grundlegende Begriffe einer Sichtweise des Kosmos, die erstmals in Texten um das vierte Jahrhundert v. Chr. auftaucht und von da an in China und anderswo enormen Einfluss erlangt. Yin und Yang wurden in diesem Schema als zwei sich ergänzende Kräfte oder Kraftqualitäten angesehen, die den Fluss des Universums lenkten. Die Yin-Kraft zeigte sich am deutlichsten in all den Dingen, die die alten chinesischen Denker mit dem Weiblichen in Verbindung brachten: Weichheit, Dunkelheit, Unterwürfigkeit, Kälte und so weiter. Yang war die komplementäre Gruppe von Eigenschaften: Härte, Licht, Kraft, Wärme usw. Yin-Yang-Denker glaubten, dass das Universum eine grundlegende Einheit ausdrückt, die seine ursprüngliche und dauerhafte Qualität ausmacht. Diese Einheit ist jedoch niemals statisch, sondern manifestiert sich immer in der dynamischen Interaktion von Yin und Yang. Diese Kräfte wechseln sich in ihrem Aufstieg ab: Yin steigt im Winter auf, Yang im Sommer. Doch selbst im dominanten Zustand des Yin gibt es immer den Keim für das Wiederaufsteigen des Yang und umgekehrt, wodurch eine ewige Dynamik gewährleistet ist.“

Karl-Heinz Pohl

Die „Divine Femininity“-Bewegung

Die „Divine Femininity“-Bewegung verwendet eine sehr ähnliche Sprache, wie auch bestimmte spirituelle Kreise. Es geht hier sehr viel um weibliche und männliche Energie. Hier sind die energetischen Archetypen mit dem biologischen Geschlecht gleichgesetzt. Dieses Phänomen habe ich häufig beobachtet. Und sie haben mich mit dazu veranlasst, die Idee von männlicher und weiblicher Energie kritisch zu hinterfragen. Beispielhafte Aussagen wie „Eine Göttin denkt nicht strategisch, sie hört auf ihr Herz.“ sind problematisch, weil sie binäre, heteronormative und patriarchale Strukturen abbilden und unterstützen.

Zusätzlich empfinde ich viele Aussagen sogar als antifeministisch. Frauen sollen sich an männliche Erwartungen anpassen. – emotional stark, aber dennoch in bestimmten Bereichen unterwürfig.

Vorschlag zur Entkoppelung von Energie und Geschlecht

Warum koppeln wir bestimmte Energien an ein Geschlecht? Wenn männliche und weibliche Energie wirklich nicht an ein biologisches Geschlecht gebunden sind, warum dann überhaupt die Begrifflichkeit „männlich“ „weiblich“ verwenden? Wäre es nicht sinnvoller, einfach von unterschiedlichen Eigenschaften zu sprechen? Eigenschaften wie weich, hart, warm, kalt, zielstrebig oder im Flow könnten doch einfach das sein, was sie sind – unabhängig von Geschlechterkonnotationen.

Ein Plädoyer für Inklusion: In meinen Frauenkreisen geht es mir darum, Räume für alle Frauen zu schaffen, unabhängig von den traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit. Ob sanft, stark, intuitiv oder rational – jede Eigenschaft hat ihren Platz. Für mich ist wichtig, patriarchale Strukturen zu hinterfragen. Besonders in der Konzeption meiner Angebote. In meinen Kreisen sind alle willkommen: cis Frauen, trans Frauen, menstruierende und nicht-menstruierende Frauen. Der Fokus liegt auf Achtsamkeit und Sensibilität gegenüber unterschiedlichen Lebensrealitäten, nicht auf der Reproduktion stereotyper Rollenbilder.

Schlusswort: Raum für unterschiedliche Perspektiven

Zum Abschluss möchte ich betonen, dass unterschiedliche Ansichten in diesen Diskussionen Raum haben sollten. Wenn du das alles ganz anders siehst, ist das dein gutes Recht. Hier dürfen mehrere Haltungen gleichzeitig nebeneinander existieren. Ich bitte jedoch darum, respektvoll miteinander umzugehen, besonders in den Kommentaren.

Quellen

Trad Wives, Choice Feminismus und feminine Energie – Warum nicht jede Entscheidung feministisch ist (Stand: 16. 8. 2024)

https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb2/SIN/Pohl_Publikation/Weiblich_männlich_Yin_Yang_D.pdf (Stand: 16. 8. 2024)

Das große Buch der chinesischen Medizin: Die Medizin von Yin und Yang in Theorie und Praxis, Ted J. Kaptchuk

Leave a Reply