Letzte Woche wurde ich unerwartet von intensiven Gefühlen überrollt. Mein Mann war für ein paar Tage verreist, und plötzlich fühlte ich mich – yep – einsam und verlassen. Ich hatte das Bedürfnis, mein Erleben mit dir zu teilen. Denn manchmal ist das viel hilfreicher als Inhalte á la:„Mit diesen 6 Übungen deinen inneren Frieden finden.“ Davon abgesehen, dass ich von solchen reißerischen Überschriften nichts halte, hilft es mir immer sehr zu spüren: Ich bin nicht allein. In diesem Blogbeitrag möchte ich also meine Erfahrungen mit dir teilen. Und ich teile mit dir, wie ich mich in dieser Situation traumasensibel und nervensystem-freundlich unterstützt habe.
Letzte Woche habe ich einen Workshop zum Thema Containment und Emotionen geleitet. Und die Themen, für die ich Raum halte, begegnen mir in der Vorbereitungsphase oft selbst noch einmal intensiv. Dieses Mal recht unvermittelt am Tag des Workshops. Mein Mann ist für ein paar Tage nach Düsseldorf und Amsterdam gereist. In meinem Kopf war alles paletti: Meinen Mann zum Flughafen bringen, nachhause, noch ein wenig für mich sein um dann den Space zu halten. Nachdem mein Mann weg war, spürte ich, wie etwas in mir kollabierte. Und mir ist aufgefallen, dass ich die letzten Monate kaum ohne ihn war. Da wir momentan reisen, sind wir sehr oft auf uns selbst zurückgeworfen. Wir sehen immer wieder Freunde in anderen Ländern. Und momentan sind wir in Berlin und auch hier kennen wir einige Menschen. Doch alles in allem sind wir durch ein ziemlich festes Band verbunden. Das Gewahrsein darüber kam nach seiner Abreise. Und es überrollte mich körperlich.
Der professionelle Anteil in mir rückte sich die Brille zurecht und diagnostizierte: Du bist getriggert. Ich konnte mich damit kaum halten. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Und während ich wusste, dass diese große Lawine an Trauer eher aus einer anderen, kindlichen Zeit kommt, war sie doch da. Und ich mitten im Strudel meiner Empfindung. Die Uhr tickte. Noch 1,5 Stunden bis zum Workshop. Ich schrieb in mein Notizbuch: „Und schon sind wir beim Thema Containment.“ Ich rief mir in Erinnerung, dass ich als Mensch bewegt sein darf. Und beschloss mich vor der Gruppe so zu zeigen wie ich bin: gefühlstechnisch semi-ok, aber bereit den Space zu halten. Ich beschloss nicht die erhabene Lehrende zu spielen, sondern mich zu zeigen. Ich beschloss der Scham etwas sehr Kraftvolles entgegenzustellen: Mitgefühl und Verständnis für mich selbst, Vertrauen in die Gruppe, Vertrauen in meine Werte.
Mein Umgang mit Emotionen und innerer Unruhe: Wie habe ich für mich gesorgt?
- Das Wissen über mein Nervensystem und die Polyvagaltheorie half mir. Ich wusste, dass ich ein wenig dissoziierte. Ich fühlte mich innerlich unruhig und gleichzeitig nicht richtig präsent.
- Wenn das Leben uns einmal aus dem grünen Bereich (im Nervensystem-Sprech Tolleranzfenster) schmeißt, dann ist es sehr hilfreich eine Safe Person zu haben, die unterstützen kann. Ich habe in meinem Fall meine beste Freundin angerufen. Eine vertraute Stimme zu hören, hat mich beruhigt.
- Ich versuchte, mich nicht unter Druck zu setzen. Ich versuchte meine Emotionen nicht „weg machen“ zu wollen. Auch wenn ein Anteil in mir meinen inneren Zustand als ziemlich unerträglich einstufte.
- Ich erinnerte mich an meine Ressourcen-Landkarte. Wenn ich mich innerlich isoliert, kollabiert und zittrig fühle, hilft es mir, mich einzukugeln und einen sicheren Hafen zu finden. Ein großes Kissen umarmen gibt mir die Nähe, die ein verletzter innerer Anteil in mir braucht.
- Ich bin dann ein bisschen mit dem, was ist. Und wenn ich merke, dass es möglich ist, beginne ich mich zu bewegen. An diesem Tag halfen mir besonders meine Hanteln, mit denen ich einen Lat Zug machte. So konnte ich die Grenzen meines Körpers wahrnehmen. Ich gab meinem Erleben einen sicheren Rahmen.
- Es war ein Tanz zwischen: mit dem sein, was ist. Und: mir durch Körperarbeit Impulse geben. Der Workshop verlief wunderbar. Ich fühlte mich dabei nicht blendend. Beschloss aber, dass dies auch nicht nötig sei. Es war nun mal, wie es war.
Der Sturm nach dem Sturm
Die folgenden Tage konnte ich beobachten, wie mein Nervensystem wilde Bahnen schlug. Und durfte auch hier wieder in ein Thema eintauchen, welches ich mit meinen Klientinnen ständig bearbeite: die quälende Erfahrung innerer Aktivierung. Eine Teilnehmerin im Workshop brachte es so gut auf den Punkt: Manchmal ist es an uns, schwierige Zustände und Emotionen auszuhalten. Ich spreche oft von „mich in meinen Emotionen halten.“ Das klingt blumig und schön. Und manchmal ist es das auch. Doch sehr oft ist es auch einfach sehr messy.
Aus der Nervensystem-Aktivierung in die Ruhe
Dieser Prozess braucht manchmal Zeit. Und in Momenten der Aktivierung ist Stille bedrohlich. Mittlerweile lasse ich mich nicht mehr von der Frage leiten: „Wie sollte ich sein?„, sondern: „Was funktioniert?“ In Momenten der Aktivierung werde ich nicht durch Meditation, sondern über Yoga, Tanz, Musik mit dem Hier und Jetzt konfrontiert. Und damit, mit dem Geschenk des Lebens. Mir hilft der Gedanke, dass ich nur dieses eine Leben habe. Ich will LEBEN. All das kann für dich überhaupt nicht hilfreich sein. Und das ist okay. Heute möchte ich einfach mit dir teilen, was mir persönlich hilft. Mich stützt das Vertrauen in meinen Körper. Ich traue meiner Körperin zu, Schmerz zu spüren. Traue mir zu, präsent zu sein. Erkenne: Mir passiert nichts (das hat mich langes Üben gekostet). Ich erforsche in jedem Moment neu: Was funktioniert? Ohne mich unter Druck zu setzen: „Das muss jetzt besser werden.“ Ich surfte die Welle meines Erlebens. Und das ist manchmal unglaublich schwer für mich. Wenn ich merke, dass ich Impulse zurückhalte, erinnere ich mich: Lass es zittern, erlaube dir zu sein. Du darfst fühlen. Du darfst es auch einen Moment lang lassen.
Wir alle haben Momente innerer Aktivierung und Überforderung. Wenn wir ganz offen darüber sprechen dürfen, wie es uns geht, beginnen wir einander zu halten. Denn Containment, also das „dich halten“ und manchmal auch das „aushalten“ deiner Emotionen und Zustände, passiert nicht nur in dir. Wir können uns dabei unterstützen. Mein Wunsch für diese Gesellschaft wäre, dass wir lernen unsere Emotionen zu spüren, diese zu benennen, und wertfrei so sein zu lassen.
Herzlich,
Loredana